Kompetenzentwicklung ist auch Unternehmensentwicklung

Interview im "Der Organisator": Kompetenzentwicklung ist auch UnternehmensentwicklungUnternehmensentwicklung

Das folgende Interview ist in „Der Organisator – Magazin für KMU“ vom 5. Dezember 2023 erschienen (Abo-Beitrag)

Kompetenzentwicklung ist auch Unternehmensentwicklung

Fachspezialisten müssen regelmässig ihr Wissen auffrischen, um in der dynamischen Wirtschaftswelt à jour zu bleiben. Zur fachlichen Kompetenzentwicklung hinzu kommen mehr denn je auch Soft Skills und Leadership-Eigenschaften. Diverse Bildungsanbieter bieten hierzu entsprechende Kurse und Trainings an.

von Thomas Berner, Chefredaktor Organisator

Neben fachlichen Kompetenzen werden sogenannte Soft Skills immer wichtiger, die etwa für das Führen von Teams, das Halten von Präsentationen, Gesprächsführung und Ähnliches notwendig sind. Viele Bildungsanbieter, die sich bisher vor allem auf fachspezifische Weiterbildungen, z.B. für IT-Fachleute, ausgerichtet haben, erkennen hier einen Mehrwert und erweitern entsprechend ihre Bildungsinhalte. So arbeitet etwa Digicomp seit Kurzem mit der Haufe Akademie zusammen, um Kurse für Soft Skills und Leadership anzubieten. Weshalb Soft Skills immer wichtiger werden und was das für die Mitarbeiterentwicklung in Unternehmen bedeutet, darüber sprachen wir mit Andreas Mollet, Experte für Kompetenzentwicklung.

Herr Mollet, Sie hielten kürzlich einen Impulsvortrag in einem Workshop der Digicomp Academy. Was waren Ihre zentralen Botschaften, die Sie den Teilnehmenden vermittelten?

Andreas Mollet: Im Kern ging es darum, dass sowohl die Gesellschaft wie auch Unternehmen sich mehr mit Soft Skills auseinandersetzen müssen. Etwas provokativ ausgedrückt: Fachexperten sind eine aussterbende Spezies. Das hat damit zu tun, dass sich Fachexperten stark auf Informationen und Daten fokussieren. Doch heute sind Informationen fast überall zugänglich, einfacher verfügbar. Aber sie sind auch vergänglicher. Ein weiterer Punkt ist, dass uns bei vielen strukturierten Prozessen die künstliche Intelligenz ebenbürtig, wenn nicht bereits überlegen ist. Es sind also neue Kompetenzen gefragt, vor allem solche, die mit Zwischenmenschlichem und Kreativität zu tun haben, also sogenannte Soft Skills.

Bereit für die Arbeitswelt der Zukunft

Und das gilt natürlich besonders für IT-Berufe?

Das Spannende ist ja: Zunächst nahm man an, dass im Zuge der Digitalisierung und Automatisierung vor allem einfache Jobs ersetzbar werden. Nun stellen wir fest, dass mit dem Aufkommen von KI- auch IT-Fachkräfte unter Druck geraten. Wenn plötzlich eine Maschine schneller und besser programmiert als ein Mensch, dann liegt es auf der Hand, dass IT-Spezialisten sich verstärkt fragen müssen, worin ihr Mehrwert besteht.

Daraus lässt sich schliessen, dass die «Arbeitsmarktfähigkeit» von IT-Fachkräften künftig immer stärker von der Ausprägung ihrer Soft Skills abhängen wird?

Ja. Reines Fachwissen wird weniger wichtig sein. Hinzu kommt, dass die Halbwertszeit von Wissen sich verkürzt, im Moment reden wir noch von drei Jahren. Wer heute in eine IT-Berufslehre einsteigt, weiss also noch nicht einmal, was er am Ende der Lehre überhaupt können muss. Deshalb werden Flexibilität oder Veränderungsfähigkeit viel wichtiger sein als reines Fachwissen. Auch Erfahrung zeichnet Fachkräfte aus. Erfahrung ist etwas Wichtiges, aber sie kann uns auch hindern, etwas Neues anzupacken. Wenn man zu lange – eben «aus Erfahrung» – an etwas festhält, kann es gefährlich werden für die Zukunft.

Bereit für die Arbeitswelt der Zukunft

Wie steht es um weitere Soft Skills wie z.B. emotionale Intelligenz oder Empathie?

Emotionale Intelligenz als Gegenstück zur Ratio wird ebenfalls immer wichtiger. Diese zähle ich neben der Veränderungsfähigkeit zu den wichtigsten Soft Skills. Der Umgang mit Wandel, Offenheit für Neues, Neugier werden zentrale Fähigkeiten sein. Ein weiterer wichtiger Block ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Und nicht zuletzt sind Kreativität im Sinne von Problemlösungskompetenz und Mut gefragte Kompetenzen – unabhängig von irgendeiner Branche.

Und wie sieht es bezüglich Leadership-Skills aus?

Das ist quasi eine «Baustelle nebenan». Die klassische Führungsrolle wird anders, es wird weniger über Kontrolle oder nach Vorgaben geführt, Hierarchiestufen fallen zusehends weg. Das heisst, es sind auch neue Leaderships-Skills gefragt – aber nicht unbedingt beschränkt auf Führung. Ein Leader ist nicht mehr zwingend jemand, der führen muss. Ein Leader kann ohne höhere Hierarchiestufe auch über seine Soft Skills, etwa kraft seiner kommunikativen Fähigkeiten, ein Team vorwärtsbringen. Deshalb halte ich es für sinnvoll, den Begriff des Leaders von Führung zu entkoppeln. Und man kann den Begriff noch weiter öffnen: Ein Leader muss nicht unbedingt auch ein Experte sein. In einem Team kann eine Person den Lead übernehmen, um jene Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Experten überhaupt erst arbeiten können.

Bereit für die Arbeitswelt der Zukunft

Welchen Zusammenhang haben die neuen Leadership-Skills mit dem Umgang mit der Gen Z, die nun neu in die Arbeitswelt eintritt?

Weder Leadership noch Führung sind eine Einbahnstrasse, sondern es geht immer auch um Interaktion. Jede Generation, die neu in die Arbeitswelt eintritt, also auch die Generation Z, kann noch keine Expertise einbringen, die auf Erfahrung aufbaut. Neue Generationen sind deshalb besonders bei den Soft Skills stark und wollen unvoreingenommen Neues ausprobieren. Als Unternehmen oder als Führungskraft bin ich also gezwungen, mich darauf entsprechend auszurichten.

Wo haben nun IT-Fachkräfte die grössten Lücken? Wo müssen Sie als Coach bzw. Dozent jeweils ansetzen?

Die Zusammenarbeit wird wichtiger. Während man früher von dem Experten oder der Expertin sprach, müssen diese nun mehr in Teams arbeiten. Die Arbeit erfolgt entsprechend mehr ergebnisorientiert und nicht unbedingt mit klar verteilten Aufgaben. Dabei müssen sie offene Wege beschreiten. Kollaborative Ansätze werden wichtiger, weil die Teams immer internationaler und diverser aufgestellt sind. Es geht also immer öfter um Kommunikation und darum, ein gemeinsames Werteverständnis zu schaffen. Die Herausforderung besteht in der Erkenntnis, dass Expertenwissen alleine nicht mehr so wichtig ist. Erst wenn das Wissen von vielen zusammenkommt, führt das zu einem Ergebnis.

Bereit für die Arbeitswelt der Zukunft

Inwiefern kann das auch frustrierend wirken, wenn ein Top-Programmierer seine Expertise plötzlich teilen muss und sich nicht mehr allein damit profilieren kann?

Es ist festzustellen, dass vieles auch mit Macht, Wertschätzung und Anerkennung zu tun hat. Ja, es gibt Menschen, die voll in ihrem Wissen aufgehen. Aber ehrlicherweise muss man auch sagen, dass in Sachen Kompetenzentwicklung nicht alle Menschen dasselbe Potenzial haben. Wer aber etwas gern tut, hat dort seine Stärken und soll diese weiter einsetzen. Aus unternehmerischer Sicht ist es aber dennoch wichtig, gewisse kollaborative Fähigkeiten einzufordern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Und da darf man gewissen Erwartungen an die Mitarbeitenden haben. Eine Chance für ein Team kann auch darin liegen, jemandem, der fachlich stark ist, eine Person mit kommunikativen Fähigkeiten beizustellen. Es soll ja darum gehen, Personen dort einzusetzen, wo sie ihre Stärken ausspielen können – etwas, was den unterschiedlichen Generationen entgegenkommt. Die meisten Menschen sind veränderungsbereit, wenn man ihnen klarmacht, was eine Veränderungen ihnen und dem Unternehmen bringen kann.

Lässt sich der Fachkräftemangel durch neue Kursangebote der Digicomp und anderer Anbieter für IT- und Nicht-IT-Fachkräfte, Soft Skills und Leadership-Skills zu erlernen, bekämpfen? Was braucht es noch? Genügen da ein paar Workshops über Mittag?

Der Markt der Bildungsanbieter allein kann diese Gaps nicht schliessen. Vieles muss schon in der beruflichen Grundbildung beginnen. Da sind Berufsschulen, Höhere Fachschulen bis hin zu Fachhochschulen und Universitäten gefordert. Die Chance von Anbietern in der Erwachsenenbildung liegt darin, dass sie den Markt für Quereinsteiger öffnen. Wer von sich aus kreativ ist und gerne etwas Neues lernt, kann sich mit wenig Aufwand zusätzliches Wissen z.B. für einen Frontend-Designer aneignen. Es lassen sich also auch «fremde» Berufsfelder für die IT-Branche erschliessen. Im Grundsatz geht es aber um zwei Dinge, weil wir derzeit eine solche Dynamik und Geschwindigkeit haben. Wer sich weiterbilden will, möchte dies zeitnah tun. Man hat ein Problem und sucht eine rasche Lösung. Man will also nicht ein halbes oder ganzes Jahr warten, bis wieder ein entsprechendes Seminar stattfindet. Deshalb sind kleine Formate sinnvoll und können einen schnellen Nutzen bringen. Denn im Idealfall möchte man das Gelernte gleich anwenden. Umgekehrt lässt sich eine unternehmerische Herausforderung auch in die Lernumgebung einbringen. Diesbezüglich sind Seminare oder Vorlesungen nicht mehr ganz zeitgemäss. Kürzere Formate kommen der Arbeitswelt besser entgegen. Es ist auch sinnvoll, zuweilen Externe beizuziehen, die – im Sinne eines Refreshers – helfen können, vorhandenes Wissen zu aktualisieren. Wichtig ist: Unternehmen stehen je länger, je mehr in der Verantwortung, Wissen auf dem aktuellen Stand zu halten. Früher war Mitarbeitendenentwicklung eine Unternehmensaufgabe. Dann wurde lebenslanges Lernen immer mehr an die Mitarbeitenden selbst delegiert. Das mag aus ökonomischer Sicht interessant sein, ist aber zu kurzfristig gedacht. Denn Unternehmen profitieren langfristig davon, wenn ihre Mitarbeitenden am Puls der Zeit bleiben und neu erworbenes Wissen gleich umsetzen können.

Bereit für die Arbeitswelt der Zukunft

Funktioniert das denn, wenn Unternehmen ihren Mitarbeitenden Weiterbildungen quasi «verordnen»? Ich stelle mir vor, dass es nicht immer einfach ist, die individuellen Bildungsbedürfnisse der Mitarbeitenden mit jenen des Unternehmens in Einklang zu bringen.

Absolut. Man muss unterscheiden, ob man als Unternehmen bereit ist, eine komplette Neuausbildung eines oder einer Mitarbeitenden zu übernehmen, oder ob es sich um ein «kleines Bildungsbedürfnis» handelt. Ich bin aber überzeugt, dass Mitarbeitende gerade im Kleinen sehr wohl wissen, wo sie noch Optimierungspotenzial haben, und in einem fairen Dialog mit dem Arbeitgeber eine Lösung finden. Und da lässt sich auch eine Brücke zur Frage nach der Generation Z schlagen: Dass es immer etwas Neues zu lernen gibt ist ein wichtiger Aspekt für die Mitarbeitendenbindung. Da die Kosten für Rekrutierungen immer höher werden, wird interne Mitarbeitendenentwicklung für alle Unternehmen wieder interessanter. Re-, Up- und New-Skilling wird eminent wichtig sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Für viele Unternehmen dürfte sich aber gleichwohl die Frage stellen: Make or buy?

Für manche Unternehmen wird es immer schwieriger, interne Kurse anzubieten, weil sie nicht mehr gut einschätzen können, ob ihre Dozierenden noch up to date sind. Externe Anbieter bringen hier einen Vorteil. Aber natürlich bleibt es eine Frage der Grösse und der Branche, wenn man als Unternehmen auf externe Bildungsanbieter setzen will. Spannend könnte auch sein, wenn sich mehrere Unternehmen zusammentun und – ähnlich wie es schon in der Lehrlingsausbildung der Fall ist – z.B. für Projektleiter «überbetriebliche Kurse» schaffen, unterstützt durch eine externe Lehrperson.

Bereit für die Arbeitswelt der Zukunft

Wie läuft so ein Leadership-Training, wie es Digicomp anbietet, konkret ab? Welche Lehr- und Lernformen kommen da zum Einsatz?

Das ist unterschiedlich. Allgemein geht es aber um partizipativen Unterricht, nicht um Frontalunterricht. Es geht um das gemeinsame und gegenseitige Nutzen von Know-how und um das Diskutieren konkreter Beispiele aus dem Berufsalltag. Alle Formate sind praxis- und lösungsorientiert aufgebaut. Dozierende, Trainer treten dabei immer mehr in den Hintergrund und übernehmen eher die Rolle eines Moderators oder Fragestellers. In der gemeinsamen Kommunikation lernt man zudem die notwendigen Soft Skills gleich mit.

Also klassisches «Learning by doing». Zum Schluss: Wo sollen Unternehmen auf ihrem Weg, Mitarbeitende weiterzuentwickeln, beginnen? Was sind die ersten Schritte?

Auf der einen Seite müssen sich Unternehmen überlegen, was sie benötigen, um in Zukunft erfolgreich zu sein. Auf der anderen Seite sind auch die Mitarbeitenden gefordert, ihre eigene Entwicklung mitzugestalten. Entscheidend ist, dass dieser Abgleich in den Unternehmen stattfindet. Das Bewusstsein muss da sein: Kompetenzentwicklung ist auch Unternehmensentwicklung; beides ist untrennbar miteinander verbunden.

 


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Bildquellen: INOLUTION, Folien vom Digicomp Medienlunch vom 

Als Geschäftsleiter der INOLUTION unterstütze ich Unternehmen darin, die zukünftigen tragfähigen Werte und notwendigen Kompetenzen zu erkennen, zu definieren und sie auf den Weg dorthin zu befähigen. Als Brückenbauer zwischen Theorie und Praxis, Wissenschaft und Praktikabilität und mit der Erfahrung aus weit über 100 erfolgreichen Projekten unterstütze ich von ganzheitlichen Konzepten über praxisorientierte Lösungsimplementierung bis zu situativen Sparrings.

Denn ich bin der Überzeugung, dass das Kompetenz-und Performance-Management sowohl im operativen, als auch im strategischen Bereich das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft hat. Ich nenne das Kompetenz-Management 4.0 - kompetente Mitarbeitende heute, morgen und übermorgen.

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